Vor einem Jahr wurde im ersten NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht das Urteil gesprochen. Noch immer sind viele zentrale Fragen unbeantwortet, die versprochene „vollständige Aufklärung“ scheint weiter entfernt denn je. Zum Jahrestag am Donnerstag, 11. Juli, erinnert das Dortmunder Bündnis „Tag der Solidarität | Kein Schlussstrich Dortmund“ von 16 bis 20 Uhr an den Katharinentreppen am Hauptbahnhof an die Opfer des rechten Terrornetzwerks und die vielen offenen Fragen.
Am 4. April 2006 wurde der Dortmunder Mehmet Kubaşık vom NSU ermordet. Zehn Morde, mindestens drei Bombenanschläge mit Dutzenden Verletzten und mehrere Banküberfälle gehen auf das Konto des rechten Terrornetzwerks. Jahrelang haben Betroffene und Nebenklagevertreter*innen vor einer unzureichenden Prozessführung gewarnt, doch es blieb dabei: „Zentrale Fragen sind unbeantwortet geblieben. Wie groß ist das rechte Netzwerk? Wer hat das Kerntrio unterstützt? – . Diese Fragen sind offen, auch, weil sich die Bundesanwaltschaft nicht dafür interessierte“, sagt Marie Kemper vom Dortmunder Bündnis „Tag der Solidarität | kein Schlussstrich“.
„Für das Gericht ist das Thema mit dem Urteil vorbei, der Schlussstrich gezogen. Für uns ist es aber nicht vorbei, und wir unterstützen weiterhin die Forderung der Angehörigen nach vollständiger Aufklärung. Dazu gehört auch, endlich die Rolle von Polizei und Nachrichtendiensten offenzulegen.“ Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss NRW habe gezeigt, dass das Wissen um rechtsterroristische Strukturen, um Waffen in der Szene und um die von Neonazis ausgehenden Gefahren sehr wohl vorhanden war. „Verfassungsschutz und Polizei arbeiteten sich aber lieber daran ab, die Opfer rassistisch zu verleumden und zu Tätern zu machen“, sagt Kemper.
„De facto hat es die versprochene vollständige Aufklärung nicht gegeben. Im Gegenteil: Wir haben das Gefühl, dass vor allem Politiker*innen und Geheimdienste rein gar nichts aus dem NSU gelernt haben“, fährt Kemper fort. „Nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wird diffus von einer ‚neuen Gefahr‘ durch ‚Rechtsextremismus‘ gesprochen, dabei ist diese Gefahr alltäglich für Migrant*innen, für Geflüchtete, für LGBTI-Menschen, für Linke und für diejenigen, die sich für ihre Rechte engagieren. Die aktuellen Recherchen zeigen, dass das rechtsterroristische Netzwerk Combat 18, das genau wie der NSU nach dem Prinzip des ‚führerlosen Widerstands‘ agiert, weiterhin Schwerpunkte in Dortmund und Kassel hat – zwei Städte, in denen der NSU mordete. Doch einmal mehr ist die Rede vom Einzeltäter.
„Wir stehen solidarisch an der Seite der Betroffenen und unterstützen ihre Forderung nach vollständiger Aufklärung“, sagt Kemper. Darum gedenkt das Bündnis am 11. Juli von 16 bis 20 Uhr an den Katharinentreppen gegenüber dem Dortmunder Hauptbahnhof der Opfer des „NSU“ und ihren Hinterbliebenen und will ihren Forderungen und Eindrücken Gehör verleihen. „Wir wollen damit auch aufzeigen, wie groß die Lücken sind, die die de-facto-Nichtaufarbeitung des rechten Terrors für die Verletzten und Angehörigen hinterlassen haben“, sagt Marie Kemper. Eine Wanderausstellung und Hörstücke rücken die Opferperspektive ins Zentrum des Geschehens.