Der antisemitische, antifeministische und rassistische Anschlag auf die Synagoge in Halle hat sich am Freitag das erste Mal gejährt. In Halle haben bürgerliche Kreise ein kritikwürdiges Gedenken organisiert. Manchmal wird man das Gefühl nicht los, es handelt sich dabei vor allem um ein ritualisiertes Gedenken zur Selbstvergewisserung. Denn was ist seit dem Anschlag in Halle passiert? Was hat sich seit dem geändert?
Weiterhin sind Juden*Jüdinnen selbst für den Schutz ihrer Einrichtungen verantwortlich. Dass dieser Schutz bitter notwendig ist, zeigt nicht zu letzt der Angriff auf einen Juden mit Kippa vor einer Synagoge in Hamburg am vergangenen Sonntag. Der eigene Sicherheitsdienst musste eingreifen.
Wir wollen nicht in Abrede stellen, dass Juden*Jüdinnen sich selbst verteidigen können. Doch wir kämpfen für eine Welt, in der jede*r ohne Angst verschieden sein kann und sein Überleben daher nicht von der eigenen Verteidigung abhängen muss.
Antisemitische Beleidigungen und Angriffe finden aber nicht im luftleeren Raum statt, sondern in einer Gesellschaft, die das zulässt. Sie finden in einer Gesellschaft statt, in der antisemitische Denk- und Handlungsmuster virulent sind. Deutschland weißt eine Kontinuität antisemitischer Taten auf, die auch nach 1945 nicht gebrochen wurde. Sie finden in einer Gesellschaft statt, in der Juden*Jüdinnen nicht als fester Bestandteil gesehen werden, sondern für viele nur im Zusammenhang mit Shoah, Nahostkonflikt und Antisemitismus Platz haben.
Es reicht daher nicht, mit dem Finger auf Neonazis zu zeigen, Angreifer*innen als „Einzeltäter“ zu bezeichnen oder ihnen psychische Verwirrtheit zu unterstellen. Was wir brauchen, ist ein konsequenter Kampf gegen jeden Antisemitismus – auf allen Ebenen, mit allen Mitteln, egal wo er uns begegnet.