Nach Angriff mit Molotowcocktail: Wie kann das kein Rassismus sein?

Der ausgebrannte Molotovcoctail nach dem Angriff (Bild: WDR Lokalzeit)

Der ausgebrannte Molotovcoctail nach dem Angriff (Bild: WDR Lokalzeit)

Wir dokumentieren die Pressemitteilung Dortmunder Antifaschist:innen, an der auch wir mitgewirkt haben:

Am Sonntagmittag, 9. Mai, griff ein Mann auf einem Spielplatz in der Dortmunder Nordstadt eine Familie mit einem Molotowcocktail an. Antifaschist:innen kritisieren die Ermittlungsbehörden, die entgegen von Zeug:innenaussagen keine Anhaltspunkte für ein rassistisches Motiv sehen wollen.

„Wir verstehen, dass zu diesem Zeitpunkt der Ermittlungen vieles noch im Unklaren ist. Wie es aber sein kann, dass eine Augenzeugin von rassistischen Morddrohungen durch den Tatverdächtigen berichtet, die Staatsanwaltschaft aber keine Anzeichen für ein politisches Motiv sehen will, ist uns unverständlich“, erklärt Tamara Reichert, Sprecherin von Antifaschist:innen in Dortmund.

„Polizei und Staatsanwaltschaft verfallen hier in ein ebenso bekanntes wie erschreckendes Muster: Sie ignorieren die politische Motivation rechter Gewalt“, führt Reichert aus. „Es mag sein, dass der Tatverdächtige psychisch erkrankt ist. Es ist aber kein Zufall, dass er ausgerechnet Leute angreift, die er für »Ausländer:innen« hält, und nicht beispielsweise Fahrradfahrer:innen. Das Problem heißt Rassismus und es durchzieht die Gesellschaft.“

Es ist typisch, dass die Staatsanwaltschaft schon jetzt den Angriff als Tat eines Einzelnen, psychisch kranken ohne politische Motivation einordnet. Das reiht sich ein in die fortgesetzte Entpolitisierung rechten Terrors durch die Ermittlungsbehörden und trägt dazu bei, dass der Staat keine Konsequenzen aus rechter Gewalt zieht. Für die Familien mit Kindern auf Spielplätzen und in Parks, für die Gewerbetreibenden rund um die öffentlichen Grünflächen, für den Alltag der Stadtgesellschaft in der Nordstadt heißt das, dass sie als Betroffene rechter Gewalt keinen Schutz und keine öffentliche Verantwortung erwarten können, sondern sich selbst überlassen werden.

Die jüngste Serie rechten Terrors von München, Halle und Hanau hat immer noch nicht ausgereicht, um die Rede von Einzeltäter:innen auf Seiten der Behörden in Frage zu stellen. Und auch das, was die Fachdiskussion als „stochastischen Terrorismus“ (Marina Weisband) nennt, ist bei den Ermittlungsbehörden noch nicht angekommen.

Potentielle terroristische Attentäter:innen werden nicht mehr jahrelang in verdeckten Organisationen ausgebildet, um irgendwann den Auftrag für einen Anschlag zu erhalten. Sie radikalisieren sich vielmehr in kurzer Zeit vermeintlich von selbst in Online-Communitys. „Das ist aber eben kein rein individueller Prozess, sondern typisch für eine Gesellschaft, in der Rassismus, Sozialchauvinismus und Antisemitismus zunehmend auch in Online-Netzwerken verbreitet werden“, erklärt Reichert. Seit langer Zeit wird Gewalt gegen bestimmte Menschen normalisiert, die öffentlich abgewertet werden. Die Erzählungen über die Dortmunder Nordstadt werten ihre Bewohner:innen immer wieder rassistisch und sozial ab. Gesellschaftliche Diskussionen über Fluchtzuwanderung und sogenannte Clankriminalität verschieben sich nach rechts und ziehen polizeiliche Maßnahmen nach sich. In Dortmund besonders in der Nordstadt. Diese Diskurse sorgen letztendlich dafür, dass rechte Gewalttaten nicht mehr erkannt werden – und so weitere Taten möglich sind.

Der mutmaßliche Täter vom vergangenen Sonntag trug mehrere Brandsätze und ein Messer bei sich. Wir müssen also davon ausgehen, dass er gezielt vorgegangen ist. Mehrere Zeug:innenaussagen, die die rassistischen Äußerungen der Täters dokumentieren, werden durch journalistische und zivilgesellschaftliche Recherchen öffentlich, während die konkrete Bedrohungslage rechten Terrors für das migrantische und postmigrantische Leben in der Nordstadt in den Ermittlungen der Polizei scheinbar keine Rolle spielt.

Wir fordern Aufklärung, Verantwortungsübernahme und Solidarität mit den Betroffenen rechter Gewalt!

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