Am 16.05.2020 fand auf dem Friedensplatz in Dortmund eine Kundgebung statt, die sich mit den Protesten gegen die Maßnahmen anlässlich der Covid-19 Krise beschäftigte. Unsere Rede auf der Kundgebung zum nachlsesen.
Ein Popsänger, ein Kochbuchautor und ein ehemaliger Radiomoderator gehen in eine Bar…
Am Ende des Abends bildet sich der Popsänger Geschichten über Geheimbünde ein, die Kinderblut trinken und heult dazu in die Kamera. Der Kochbuchautor hält sich für einen Samurai, will in den bewaffneten Untergrundkampf ziehen, wird in Berlin allerdings von einem Platzverweis der Polizei gestoppt. Der ehemalige Radiomoderator macht den Mundschutz als „Maulsperre“ oder gar „neues Hakenkreuz“ aus und ruft dazu auf, keinen zu tragen – trägt dann aber selbst einen Mundschutz und versteckt sich dabei unter einer Decke, damit das niemand mitkriegt.
Klingt alles sehr schrullig und vielleicht ein bisschen komisch. Das Problem: alle drei Personen erreichen ein großes Publikum, dass auf die Geschichten, die die drei erzählen begeistert anspringt. Diese Geschichten nennen wir Verschwörungsmythen und sie sind ein Grund, warum wir heute hier stehen. Sie sind leider nicht ganz so neu, wie es in unserer kleinen Geschichte wirkt.
Die Coronakrise trifft viele Menschen hart – insbesondere diejenigen, die ohnehin im täglichen Hauen und Stechen nicht besonders gut da stehen – Obdachlose, Geflüchtete, Arme, Kranke, Kids aus zerrütteten Familien, Frauen, prekär Beschäftigte und so weiter. Die Regierungen reagieren auf die neue Situation unterschiedlich. Manche schneller und konsequenter, andere lange gar nicht. Manche Maßnahme wird schlecht erklärt, manche erst aufgeweicht, dann zurückgenommen. Manche werden erst als sinnlos eingeschätzt, dann aber doch eingeführt. Bei vielen weckt das Zweifel und schürt weitere Unsicherheiten. Und das in einer Zeit, in der sich ohnehin schon viele Sorgen um das Klima, ihre Arbeitsplätze und die Zukunft machen. Die so logische wie naheliegende Erklärung: Auch Politiker*innen sind mit der neuen Situation überfordert, auch beratende Wissenschaftler*innen empfehlen Maßnahmen, von denen sie später sagen müssen, dass sie nicht so sinnvoll waren, wie gedacht. So ist das nunmal oft in Krisen.
Und in Krisen ist es umso mehr Aufgabe einer kritischen Zivilgesellschaft und erst recht einer Linken, das Handeln von Regierungen, Behörden und anderen zu prüfen, bei Bedarf zu kritisieren und im Zweifel sogar dagegen auf die Straße zu gehen. Und es gilt, die Gründe für fehlerhafte Maßnahmen zu benennen: manchmal mag das simples Es-nicht-besser-wissen sein, aber manchmal eben auch autoritäre Ideologie oder die Orientierung am kapitalistischen Normalvollzug, der im Zweifel eben auch trotz Infektionsgefahr verlangt, dass im Großraumbüro weiter gearbeitet wird. Corona hin oder her.
Mit dieser Kritik haben die selbternannten „Corona-Rebellen“ nichts gemein. Das für sich gepachtete „kritische Hinterfragen“ ist zwar ein schöner Baustein in der eigenen Identität als „Freidenker*in“, verkommt aber zur hohlen Phrase. Denn während Recherchen von Journalist*innen als „Lügenpresse“ abgetan werden, wird der YouTube-Output eines politischen Aktivisten von zweifelhaftem Ruf wie Ken Jebsen nicht nur vorbehaltlos geglaubt, sondern in den quasi-sakralen Rang der wahren Wahrheit erhoben. Hinterfragen? Fehlanzeige! Warum sollte ein Ken Jebsen denn Falschmeldungen verbreiten – also abgesehen von u.a. mangelnder journalistischer Sorgfalt, finanziellem Interesse und medialer Selbstdarstellung?
Die aktuellen Corona-Demos vereinen nach derzeitigem Kenntnisstand ein breites Spektrum von linksliberalen Esoterikhippies über Querfrontaktivist*innen und antisemitischen Hetzer*innen bis hin zur AfD und organisierten Neonazis. Auch in Dortmund und anderen Städten im Ruhrgebiet lässt sich das beobachten. Hier sind es die neonazistischen Gewalttäter*innen der Partei Die Rechte, die ein wenig gute Mine zum bösen Spiel machen und sich mit dem Grundgesetz winkend an die Spitze einer Protestwelle zu setzen versuchen. Dazwischen tummeln sich durchaus auch ein paar Leute, die in ihrer Unsicherheit einfach bei einer Deutung der aktuellen Krise hängengeblieben sind, die verspricht, die wahren Schuldigen zu kennen und dass alles besser wird, wenn diesen das Handwerk gelegt wurde. Diese Leute abholen zu wollen, ist nicht verkehrt, aber auch nicht leicht.
Verschwörungsmythen immunisieren sich gegen die Kritik von außen. Jede eingehende Information wird im Sinne der bereits ausbuchstabierten Ideologie, in der die Schuldigen von Beginn an feststehen, interpretiert. Der Glaube an Verschwörungstheorien hat ähnlich wie der Antisemitismus, mit dem er sich häufig verbindet, das Potential, zum Wahn zu werden und Individuen von der Realtität abzuschotten. Im schlimmsten Fall gelangen ihre Anhänger*innen zu der Überzeugung, nur noch Gewalt bis zur Eliminierung der angeblichen Verschwörer*innen oder ihrer Handlanger*innen sei ein erfolgsversprechendes Mittel.
Verschwörungsmythen sind in unserer heutigen, krisenhaften Gesellschaft virulent. Sie sind der Motor hinter dem Erfolg der AfD, sie sind Bestandteil extrem rechter Ideologie, wie sie bei Die Rechte zu finden ist. Und sie sind Motor und verbindendes Element der aktuellen Proteste.
Wir stehen hier heute, um auf die Gefährlichkeit dieser Verschwörungsmythen und der sich bietenden offenen Flanke zu rechten, rassistischen und antisemitischen Positionen und Akteur*innen hinzuweisen. Wir sind auch hier, um aufzuzeigen, dass Verschwörungsmythen nicht das Potential haben, reale Missstände zu beenden. Anstatt sich mit drängenden Problemen wie einem unterbezahlten Gesundheitssystem oder steigenden Mieten und der dahinterstehenden kapitalistischen Logik zu befassen, werden Verschwörungen und böse Absichten gesucht, wo keine sind; wird das Verweigern von GEZ-Gebühren oder das Drehen pseudomedizinischer YouTube-Clips zum Widerstandsakt verklärt, der dich gleich zum Staatsfeind mache und auf Spitzenplätze der Abschussliste einer imaginären Weltverschwörung katapultiere. Mit Verschwörungstheorien ist keine Gesellschaftskritik zu machen – und emanzipatorisches Handeln erst recht nicht.
Auf dieser Kundgebung soll es deshalb auch um diese realen Probleme gehen. Und um Möglichkeiten, diesen mit einer solidarischen Praxis zu begegnen. Wirklich einen Unterschied zu machen anstatt die Orakelsprüche eines anonymen Dullis mit eigenen Chefversteher*innen zu deuten zu versuchen.
Wenn es verhindert, dass Passant*innen den Haufen für bloße Grundrechtsverteidiger*innen halten: sehr gut!
Wenn es einzelne Aluhüte zum Nachdenken bringt: noch besser!
So oder so: Keine Bühne für Aluhüte! Antisemitismus und Verschwörungsmythen entgegentreten!