CDU, FDP und „Die Partei“ stimmen mit AfD gegen die Benennung einer neuen Straße nach dem jüdischen und kommunistischen Kurt Julius Goldstein – die Straße kommt trotzdem
„Als Deutscher, Jude und Kommunist wird man gewöhnlich nicht geehrt“, sagt Kurt Julius Goldstein, als er 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse vor allem für sein Engagement im Internationalen Auschwitz Komitee ausgezeichnet wurde. Das dachten sich wohl auch die Parteien, die gestern mit der AfD zusammen – unter anderem vertreten durch Matthias-„freundliches Gesicht des NS“-Helferich – gegen die Benennung einer Straße nach dem in Scharnhorst geborenen Juden gestimmt haben. Schon zur letzten Sitzung machte sich die CDU mit der Position der AFD gemein und stimmte mit ihr dafür, den Tagesordnungspunkt zu verschieben. Dafür, dass man seit Jahren vorhatte, eine Straße nach Kurt Goldstein zu bennenen, war man dann wohl doch erschreckend uninformiert über dessen Biographie.
Goldstein trat aufgrund seiner Diskriminierungserfahrungen durch unter anderem seine Lehrer sowie der Ablehung der aus Osteuropa stammenden Juden innerhalb der jüdischen Gemeinde schon als 13-jähriger in die sozialdemokratische Sozialistische Arbeiterjugend ein. Mit 16 war er, als damals überzeugter Pazifist, Mitglied der KPD. Schon drei Jahre vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er als Jude und Kommunist stark diskriminiert, musste deshalb Schule wechseln und sein sein Abitur statt in Hamm im nahe gelegenen Münster abschließen.
Nachdem sein Bruder an seiner Stelle verhaftet und in ein KZ gebracht wurde, floh Goldstein zu Verwandten nach Luxemburg und baute dort im Auftrag der KPD an einem Netzwerk zur Migration der Jüdinnen:Juden nach Palästina mit und arbeitete 1935-36 in Palästina für die Kommunistische Partei Palästinas.
Schon vor dem 2. Weltkrieg kämpfte Kurt Julius Goldstein gegen den Faschismus, indem er sich den Internationalen Brigaden in Spanien anschloss. Nach seiner Internierung in Saint Cyprien und der Deportation nach Le Vernet kam er über Drancy nach Auschwitz, Häftlingsnummer 58866. Im „Grubenkommando Jawischowitz“ überlebte er, indem er sich als Bergmann ausgab. Dadurch wurde er der einzige jüdische Kapo. In dieser Situation gab er sein bestmöglichstes für das Leben der Inhaftierten, organisiserte Widerstand und rettete einem anderen Inhaftierten, Karl Polak, das Leben, indem er ihn vor der Selektion des SS-Arztes Dr. Fischer rettete. Auch er wurde in einem „Todesmarsch“ nach Buchenwald geschickt, beteiligte sich dort an einem Häftlingsaufstand und legte dort später den Schwur von Buchenwald ab. Während seiner Zeit als Häftling traf er häufig auf ehemalige Brigadisten, die politischen Kontakte halfen ihm.
50 Verwandte von Goldstein überlebten die Shoa nicht.
Nach dem Krieg siedelte er 1951 in die DDR über, arbeitete dort in der Westabteilung des Zentralkomitees der SED und ab 1956 im Rundfunk. Bis 1978 war er Intendant.
Die Arbeit für die SED sind CDU, FDP und „der Partei“ Grund genug, in Dortmund keine Straße nach ihm zu benennen. Eine wahnsinnige moralische Anmaßung, zu bewerten, inwiefern Menschen, die nicht nur aufgrund ihres Jüdisch-seins, sondern auch aufgrund ihrer kommunistischen Haltung verfolgt wurden, sich engagieren dürfen in einem Staat, dessen Anspruch immerhin antifaschistisch war. Zumal Goldstein im Vergleich zur Bundesrepublik konsequentere Verurteilung der NS-Verbrecher in der DDR wahrgenommen hat, wie beispielsweise die Verurteilung und Hinrichtung jenes Mannes, Dr. Fischer, vor dessen Todesselektion er seinen Mithäftling gerettet hat.
Ohne sich positiv auf einen Staat wie die DDR zu beziehen, kann und sollte man Opfern des Nationalsozialismus zugestehen, eine andere Sicht auf die DDR zu haben. Dass sich gerade die CDU und FDP als moralische Instanzen aufspielen, dies zu beurteilen, in deren Reihen nach dem Nationalsozialismus weiterhin fröhlich Nazis hofiert wurden, ist eine bodenlose Frechheit. Kiesingers Kanzlerschaft ist nur ein prominentes Beispiel – ein ehemaliger NRW-Landtagsabgeordneter der FDP, Ernst Achenbach, der mitverantwortlich war für die Deportation und Ermordung französischer Juden ein anderes.
Eine kritische Auseinandersetzung mit der SED-Vergangenheit Kurt Julius Goldsteins ist kein Widerspruch zur Ehrung seiner Leistungen im Widerstand gegen die Nazis, wie eine Ausstellung des Internationalen Auschwitz Komitees 2014 zeigt. Dort äußert er sich auch selbst kritisch: „Warum habe ich zu all diesen Fehlentwicklungen nicht lauter Stellung bezogen, wie weit war ich Teil dieses Scheiterns?“.
Nach dem Nationalsozialismus war Goldstein unter anderem Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Ehrenvorsitzender des Interessenverbandes der Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, der Verfolgten des NS-Regimes und Ehrenvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BDA). Zudem war er Ehrenbürger Spaniens. Kurt Julius Goldstein engagierte sich Zeit seines Lebens in der Bildungsarbeit, er sprach vor tausenden Schüler:innen unermüdlich gegen das Vergessen.
Dass die AfD jemanden, der so konsequent gegen den Nationalsozialismus und gegen das Vergessen gekämpft hat, nicht ehren will, überrascht niemanden. Überrascht sind wir bei der CDU auch nicht – klarer Fall von „nicht überrascht und trotzdem enttäuscht“. Dass man sich allerdings mit Neonazis wie Helferich gemein macht, um die Ehrung eines Opfers des Nationalsozialismus und Kämpfers gegen den Faschismus zu verhindern, ist sogar für eine Partei wie die CDU peinlich.
Wir freuen uns, dass die neue Straße in Grevel auch ohne die Stimmen der CDU, FDP und „die Partei“ bald doch „Kurt Goldstein-Straße“ heißt, doch so sieht keine klare Haltung gegen Rechts aus und so sieht im Übrigen auch keine Brandmauer nach Rechts aus.
Update: Die Stadtratsfraktion und der Kreisverband Dortmund von „Die Partei“ haben sich am 8. Dezember vom Abstimmungsverhalten ihres Mitglieds in der Bezirksvertretung Scharnhorst distanziert und sich dafür entschuldigt.