Polizeigewalt muss Konsequenzen haben. Am Freitag auf nach Münster!

Das Keinen-Meter-Bündnis in Münster ruft am Freitag zu einer Demonstration gegen Polizeigewalt auf. Anlass ist die Einstellung des Verfahrens gegen einen Polizisten, der im Jahr 2012 einen Demonstranten ins Koma geschlagen hatte. Antifaschist_innen aus Dortmund treffen sich zur gemeinsamen Anreise um 16:45 auf Gleis 8.

Der Aufruf des Keinen-Meter-Bündnis:

Der 3. März 2012 in Müns­ter: Die Po­li­zei setzt einen Auf­marsch von 300 Nazis durch das Rum­phorst­vier­tel gegen den ent­schlos­se­nen Pro­test von 7000 Men­schen mit aller Härte durch. In den Mit­tags­stun­den ent­de­cken meh­re­ren Po­li­zis­t_in­nen der 17. Be­reit­schafts­po­li­zei­hun­dert­schaft (BPH) aus Müns­ter an der Stet­ti­ner Stra­ße einen jun­gen Mann, den sie ver­däch­ti­gen, ei­ni­ge Zeit zuvor eine Straf­tat be­gan­gen zu haben. Die Grup­pe ent­schließt sich, den Mann vor Ort in Ge­wahr­sam zu neh­men. In einem für sie güns­ti­gen Mo­ment stür­men sie los, ren­nen ihn mit vol­lem Kör­per­ein­satz um und brin­gen ihn bru­tal zu Boden. Ein Po­li­zist schlägt dabei mehr­fach auf den De­mons­tran­ten ein. Der De­mons­trant ver­liert für einen län­ge­ren Zeit­raum das Be­wusst­sein. Er wird vor Ort von einer Not­ärz­tin aus den Krei­sen der De­mons­tran­t_in­nen erst­ver­sorgt, von Ret­tungs­kräf­ten in­tu­biert und schließ­lich in die In­ten­siv­sta­ti­on ein­ge­lie­fert. Erst am Abend bes­sert sich sein Zu­stand, er er­lei­det durch den Über­griff der Po­li­zei ein Schä­del-​Hirn-​Trau­ma.

Der Über­griff auf den jun­gen Pro­tes­tie­ren­den war der bru­tals­te Fall von Po­li­zei­ge­walt an die­sem Tag. Er war je­doch kein Ein­zel­fall: Die Po­li­zei setz­te immer wie­der Pfef­fer­spray, Schlag­stö­cke und Dro­hun­gen ein, um den Nazis den Weg durch den Stadt­teil gegen den ent­schlos­se­nen Wi­der­stand der Ge­gen­de­mons­tran­t_in­nen frei­zu­ma­chen. Der 3. März 2012 war auch nicht der erste Tag, an dem wir dies er­leb­ten: Po­li­zei­ge­walt ist uns und all denen, die immer wie­der auf die Stra­ße gehen, um gegen Neo­na­zis und so­zia­le Un­ge­rech­tig­kei­ten zu pro­tes­tie­ren, lei­der nur allzu gut be­kannt. Wir er­le­ben re­gel­mä­ßig, mit wel­cher Härte die Po­li­zei be­reit ist, gegen De­mons­tra­tio­nen und Blo­cka­den vor­zu­ge­hen. Wir wis­sen, dass es die Funk­ti­on der Po­li­zei ist, die herr­schen­de Ord­nung mit allen not­wen­di­gen Mit­teln, auch mit Ge­walt, auf­recht zu er­hal­ten. Dass Po­li­zei­über­grif­fe sol­che schwe­ren Ver­let­zun­gen ver­ur­sa­chen wie am 3. März 2012 ge­sche­hen, ist al­ler­dings auch für uns nicht all­täg­lich. Und es ist vor allem nichts, was wir ein­fach so hin­neh­men wer­den!

Das „Kei­nen Meter“-​Bünd­nis hat den Be­trof­fe­nen im Nach­gang dabei un­ter­stützt, Straf­an­zei­ge wegen „Kör­per­ver­let­zung im Amt“ gegen die Po­li­zei zu stel­len. Ob­wohl sich viele Au­gen­zeu­g_in­nen ge­mel­det hat­ten, stell­te die Staats­an­walt­schaft das Ver­fah­ren im No­vem­ber 2012 ein. Die Be­grün­dung: Der Po­li­zist, der die Schlä­ge zu­ge­ge­ben hat, habe aus „Not­wehr“ ge­han­delt. Dass die Po­li­zis­t_in­nen sich Art und Zeit­punkt der Fest­nah­me selbst aus­ge­sucht hat­ten und den Be­trof­fe­nen über­rum­pel­ten, fiel für die Staats­an­walt­schaft au­gen­schein­lich nicht ins Ge­wicht. Die An­wäl­tin des Be­trof­fe­nen lei­te­te dar­auf­hin ein Kla­ge­er­zwin­gungs­ver­fah­ren beim Ober­lan­des­ge­richt Hamm ein. Mit Er­folg: Das Ober­lan­des­ge­richt hob die Ent­schei­dun­gen der Staats­an­walt­schaft auf und ord­ne­te an, An­kla­ge wegen Kör­per­ver­let­zung im Amt gegen den ver­däch­ti­gen Po­li­zis­ten zu er­he­ben. Nach die­ser ge­richt­li­chen Zu­recht­wei­sung hätte jetzt ei­gent­lich die Staats­an­walt­schaft An­kla­ge gegen den prü­geln­den Po­li­zis­ten er­he­ben müs­sen. Das tat sie aber nicht, son­dern such­te in der Straf­pro­zess­ord­nung nach einem für den Po­li­zis­ten mög­lichst mil­den Weg, das Ver­fah­ren trotz­dem ein­zu­stel­len. Die Staats­an­walt­schaft war nun der An­sicht, der Fall weise nur eine „ge­rin­ge Schwe­re der Schuld“ auf und stell­te im Juni 2014 das Ver­fah­ren gemäß §153a der Straf­pro­zess­ord­nung aus Op­por­tu­ni­täts­grün­den gegen Zah­lung einer Geld­bu­ße ein. Ernst­haf­te Kon­se­quen­ten hat der Po­li­zist somit nicht zu fürch­ten, er muss le­dig­lich 750 Euro an den Be­trof­fe­nen sowie 750 Euro an einen ge­mein­nüt­zi­gen Ver­ein zah­len. Rechts­mit­tel, um gegen diese Ent­schei­dung vor­zu­ge­hen, exis­tie­ren nicht.

Uns em­pört die Dreis­tig­keit, mit sich der die Staats­an­walt­schaft hier über die Fest­stel­lung des Ge­rich­tes und der Öf­fent­lich­keit, dass hier der be­grün­de­te Ver­dacht der „Kör­per­ver­let­zung im Amt“ be­steht, hin­weg­setzt. Die­ses Vor­ge­hen ist ein Si­gnal an alle prü­geln­den Po­li­zis­t_in­nen, dass über sie die Hand ge­hal­ten wird und dass ein Fehl­ver­hal­ten kei­ner­lei ernst­haf­te Kon­se­quen­zen zur Folge hat. Diese prak­ti­zier­te Straf­frei­heit ist der Nähr­bo­den, auf dem wei­te­re Po­li­zei­ge­walt ge­deiht.

Po­li­zei­ge­walt in Deutsch­land – Kein Ein­zel­fall, son­dern ein struk­tu­rel­les Pro­blem

Be­reits seit Jah­ren ist wis­sen­schaft­lich be­legt, dass Straf­ver­fah­ren gegen Po­li­zis­t_in­nen wegen Kör­per­ver­let­zung im Amt eine über­durch­schnitt­lich hohe Ein­stel­lungs­quo­te, teil­wei­se bis zu 95%, auf­wei­sen. In den Ver­fah­ren, in denen die Staats­an­walt­schaft von einer Straf­bar­keit der Be­schul­dig­ten aus­geht, ist wie­der­um die Ein­stel­lungs­quo­te auf­grund von „Ge­ring­fü­gig­keit“ oder aus Op­por­tu­ni­täts­grün­den au­ßer­ge­wöhn­lich hoch. Diese mas­si­ve Dis­kre­panz im Ge­gen­satz zu Straf­ver­fah­ren mit An­ge­klag­ten, die keine Po­li­zis­t_in­nen sind, lässt sich nicht mehr mit Schwan­kun­gen oder der be­son­ders ex­po­nier­ten Rolle der Po­li­zei in der Ge­sell­schaft er­läu­tern. Sie be­dingt sich aus struk­tu­rel­len Pro­ble­men wie der weit­ge­hen­den An­ony­mi­tät von Po­li­zis­t_in­nen in ihren Hun­dert­schaf­ten, einem star­ken Korps­geist bei der Po­li­zei und der aus der Pra­xis be­ding­ten Nähe zwi­schen Er­mitt­ler_in­nen, Staats­an­walt­schaft und den Ver­däch­ti­gen. Ju­ris­t_in­nen, po­li­ti­sche Grup­pen und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen wie Am­nes­ty In­ter­na­tio­nal for­dern des­halb seit Lan­gem struk­tu­rel­le Re­for­men zur Be­kämp­fung der Ur­sa­chen von Po­li­zei­ge­walt wie die Ein­rich­tung un­ab­hän­gi­ger Er­mitt­lungs­be­hör­den oder einer Kenn­zeich­nungs­pflicht für Po­li­zis­t_in­nen.

Diese For­de­run­gen ver­hal­len je­doch wei­test­ge­hend un­ge­hört, statt­des­sen sehen wir, wie die Po­li­zei durch neue Aus­rüs­tung wie leis­tungs­star­ke Was­ser­wer­fer, Über­wa­chungs­droh­nen oder Pep­per­ball­ge­weh­re wei­ter mi­li­ta­ri­siert wird. An­ders als es die Lob­by­is­ten aus den Rei­hen der Po­li­zei­ge­werk­schaf­ten immer wie­der be­haup­ten, liegt das Pro­blem nicht in einer an­geb­lich stei­gen­den Ag­gres­si­vi­tät und man­geln­dem Re­spekt ge­gen­über Po­li­zis­t_in­nen, son­dern in der Nor­ma­li­tät einer po­li­zei­li­chen Pra­xis, die schwe­re Ver­let­zun­gen bil­li­gend in Kauf nimmt. Die nied­ri­ge Ver­ur­tei­lungs­quo­te bei Ver­fah­ren gegen Po­li­zis­t_i­nen wegen Kör­per­ver­let­zung im Amt ist kein Beleg dafür, dass sich die Po­li­zei grund­sätz­lich rechts­kon­form ver­hält. Sie zeigt viel­mehr, wie gut prü­geln­de Po­li­zis­t_in­nen in die­sem von be­fan­ge­nen Po­li­zei­er­mitt­lun­gen und wil­li­gen Staats­an­walt­schaf­ten ge­tra­ge­nen Sys­tem ge­schützt wer­den.

Die Ein­stel­lung des Ver­fah­rens um den bru­ta­len Po­li­zei­über­griff am 3. März passt nur zu gut in die­ses Mus­ter. Wir sind wü­tend, dass Po­li­zei­ge­walt in die­sem und vie­len an­de­ren Fäl­len ohne Kon­se­quen­zen bleibt! Wir las­sen nicht wei­ter zu, dass eine wil­li­ge Staats­an­walt­schaft prü­geln­de Po­li­zis­t_in­nen schützt!

Wir rufen des­halb zu einer De­mons­tra­ti­on unter dem Motto „Po­li­zei­ge­walt muss Kon­se­quen­zen haben! So­li­da­ri­tät mit den Be­trof­fe­nen!“ am 4. Juli 2014 um 18 Uhr in Müns­ter (Treff­punkt am Stadt­haus 1, Kle­mens­stra­ße 1) auf. Wir wer­den un­se­re Wut auf die Stra­ße tra­gen!

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