Nach den Protesten gegen den G20 Gipfel in Hamburg ist eine Debatte entbrannt über Art und Ausmaß der Geschehnisse. Wir melden uns mit 9 Thesen zu Wort, um unsere Sicht in die Debatte einzubringen.
1. Die Hamburger Innenbehörde war von Beginn an feindlich den Protesten gegenüber eingestellt. Die Verbotszone, die Verbote und Polizeieinsätze gegen die Camps zeigten schon im Vorfeld, dass Widerstand gegen den G20-Gipfel nicht gewollt war. Das Ganze setzte sich während der Proteste auf der Straße, bei Vorkontrollen und in der Gefangenensammelstelle fort. Der Verfassungsschutz agitierte im Vorfeld gegen einzelne, öffentlich auftretende Linke. Während des Gipfels sorgte er für die Durchsuchung eines linken Zentrums.
2. Der Staat militarisiert sich im Verhältnis zu sozialen Bewegungen. Der neue Panzerwagen „Survivor“, die lancierten Bilder mit über 30 Wasserwerfern in einer Garage und zuletzt die schwer bewaffneten Spezialeinheiten, die mehrfach im Schanzenviertel aufmarschierten. Schon durch die Präsenz von Technik und Bewaffnung soll der Protest gebrochen werden. Außerdem produziert der Staat selbst militarisierende „Kriegsbilder“, wenn Olaf Scholz die Polizist_innen zu Held_innen kürt und gemeinsam mit Bundespräsident Steinmeier Verwundete im Krankenhaus besucht. Auch in Medien gibt es ein Zusammenrücken hinter der Polizei, die Gesellschaft als Ganzes rückt hinter ihrer Truppe zusammen.
3. Der gesellschaftliche Rechtsruck wird im Kontext von Hamburg noch deutlicher. Ein sozialdemokratischer Justizminister, der sich die Forderung nach einem „Rock gegen Links“ in den Mund legen lässt. Die Forderungen nach Verboten von linken Gruppen, der Räumung von Zentren und mehr Überwachung liegen auf dem Tisch. Auch über das schon stark eingeschränkte Versammlungsrecht wird diskutiert. CDU und SPD überbieten sich mit ihren Forderungen und haben in Teilen schon offen AfD-Positionen angenommen.
4. Von den Medien wurden die Proteste gegen den G20-Gipfel gerahmt als Auseinandersetzung zwischen Polizei und „gewaltbereiten Autonomen“. Trotz eines eigenen Medienzentrums ist es uns nur teilweise gelungen, diese Rahmung in Frage zu stellen und eine andere Erzählung dagegen zu setzen. Wir müssen es schaffen, unsere Kritik der herrschenden Ordnung und unsere Ideen für eine vernünftig eingerichtete Gesellschaft mehr in den Fokus zu stellen – jenseits einer Diskussion um verletzte Polizist_innen und brennende Autos.
5. Der Protest gegen den G20-Gipfel war bunt und in Teilen widerständig. Vom Rave über inhaltliche Veranstaltungen bis zur Großdemo war alles dabei. Am Freitag ist es gelungen, den Gipfel-Ablauf zu stören. Teile von Delegationen kamen zu spät. Wolfgang Schäuble musste einen Termin absagen, Melania Trump konnte in Teilen nicht am Begleitprogramm teilnehmen. Die Blockaden im Hafen waren erfolgreich.
6. Die Resonanz der Menschen in Hamburg zeigt sich für uns differenzierter, als die Berichterstattung der Tage nach dem Gipfel vermuten lässt. Wir haben viel Solidarität erlebt, von Anwohner_innen genauso wie von denen, die jetzt als Gaffer_innen diffamiert werden, häufig aber sehr deutlich Partei für uns und gegen die Gewalt der Polizei bezogen haben. Die Auswirkungen für die Genoss_innen vor Ort müssen trotzdem bedacht werden. Zwei Nächte mit Riots werden Jahrzehnte von linker Arbeit in der Schanze nicht zerstören, aber es gibt nun Debatten im Stadtteil, die geführt werden müssen.
7. Es gilt bei jedem Protestevent, dies auf seine Sinnhaftigkeit zu prüfen. Neben den positiven Erlebnissen gab es auch negatives. Bei der Großdemonstration wurde Antisemit_innen eine Plattform geboten. Das muss ein Ende haben. Auch dürfen Proteste nicht zum sinnentleerten Ritual werden. Sie können ein Ausdruck und Punkt gemeinsamen Handelns sein. Doch der Schwerpunkt politischer Arbeit muss vor Ort stattfinden.
8. Die Militanz war in Teilen nicht zielgerichtet. Es ist kein Problem, wenn Autos brennen und Widerstand gegen die Polizei geleistet wird. Dies sollte aber immer einem politischen Ziel folgen. Und auch dabei gibt es Dinge, die tabu sind. Feuer in Wohnhäusern zu legen, ist falsch.
9. Nicht jeder, der sich an den Riots beteiligt hat, war linksradikal. Das begrüßen wir. Es zeigt, dass die Unzufriedenheit mit der bürgerlich-kapitalistischen Demokratie groß ist. Aber wir müssen darauf achten, wen wir bei solchen Aktionen anziehen. Mackertum und ziellose Gewalt können in einem linken Protest keinen Platz haben. Trotzdem müssen wir uns mit den Unzufriedenen und Wütenden, die sich am Widerstand gegen den Gipfel beteiligt haben, endlich verbinden. Wir müssen mit den Deklassierten in unserer Gesellschaft in einen Austausch treten und eine gemeinsame Organisierung vorantreiben. Nur so ist es möglich, über die Ziele, Formen und Kriterien für widerständiges Verhalten in einen Diskurs zu kommen. Widerständigkeit muss in den Alltag getragen werden. Wir sollten deutlich machen, dass wir für eine andere, die befreite Gesellschaft streiten.
Bild: Sören Kohlhuber