Am kommenden Samstag werden in Dortmund erneut Verschwörungsgläubige rund um die entstehende Pseudo-Partei „Widerstand 2020“ gegen Infektionsschutzmaßnahmen demonstrieren. Die Autonome Antifa 170 beobachtet das Phänomen und nimmt eine Einschätzung der Proteste vor.
Verschwörungstheorien sind kein besonders neues Phänomen. Gerade in Krisenzeiten nehmen sie schnell Fahrt auf. Die Verbreitung über das Internet ermöglicht dabei eine schnellere und widerspruchslosere Ausbreitung. In Dortmund sind auch entsprechende Kundgebungen nichts Neues: Seit Monaten treffen sich Reichsbürger*innen um die Gruppe „staatenlos.info“ wöchentlich auf dem Friedensplatz.
Während letztere weitgehend unbeachtet und isoliert bleiben, konnten die sogenannten Corona- oder Hygiene-Demos der letzten Wochen einiges an Aufmerksamkeit gewinnen. Kim Schmidt von der Autonomen Antifa 170 erklärt: „Die aktuellen Proteste konnten im Gegensatz zu den Reichsbürger*innen von der Verunsicherung vieler Menschen mit der Corona-Pandemie und den Diskussionen um Schutzmaßnahmen und Lockerungen profitieren. Hinzu kommt ein Netz an selbsternannten ‚alternativen Medien‘ im Rücken, die sich spätestens seit den ‚Mahnwachen für den Frieden‘ von 2014 etablierten und durch den Erfolg der AfD, die getrost als Partei der Verschwörungstheorien bezeichnet werden kann, weitere Reichweite erreichen konnten“.
Nach Einschätzung der Autonomen Antifa 170 kommt den Corona-Demos die oft schwach ausgeprägte gesellschaftliche Problematisierung von und die geringe Erfahrung in der Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien zu Gute. So erklären sich etwa Berichte wie beim Radiosender 91.2[1], die lediglich von Protesten gegen Grundrechtseingriffe berichten. Dass auf einer entsprechenden Veranstaltung in Dortmund etwa die erste Strophe des Deutschlandlieds gespielt wurde, fällt dabei schnell unter den Tisch.
Kim Schmidt: „Sicherlich ist Kritik an vielen beschlossenen oder diskutierten Maßnahmen legitim und sogar notwendig. Das zeigt nicht zuletzt die Diskussion um den Datenschutz im Falle einer Corona-App oder um die Einschränkungen des Versammlungsrechts. Wenn aber schon das Tragen eine Mundschutzes in speziellen Fällen wie dem Einkauf und der Fortbewegung im öffentlichen Nahverkehr zum ‚Bürgermaulkorb‘ und Unterdrückungsinstrument verklärt wird, sollte klar werden, dass hier etwas verkehrt läuft“.
Die Äußerungen auf den Protesten bilden ein großes Spektrum ab. Dieses reicht von der Meinung, die aktuellen Maßnahmen seien überzogen und sollten zurückgenommen werden, bis zu der – wesentlich lautstärker artikulierten – Behauptung, das Coronavirus existiere gar nicht, alle Maßnahmen seien nur die versteckte Durchsetzung einer Diktatur.
„Es wäre zu einfach, alle Teilnehmer*innen als extrem Rechte zu bezeichnen. Doch eine Distanzierung von rechten Ideologien bleibt aus. So werden rechte Äußerungen, Personen oder Lieder, wie die 1. Strophe des ‚Lieds der Deutschen‘ geduldet. Damit stellen sie sich selbst in die rechte Ecke“, bewertert Schmidt, „Die vielfältige Verschwörungserzählungen sind es, die Impfgegner*innen, Rechte, Esoteriker*innen, Antisemit*innen und Wissenschaftsfeind*innen mit lediglich verunsicherten Menschen zusammenschweißen. Die geäußerten Verschwörungstheorien sind dabei oftmals antisemitische Erzählungen“.
Hinter dem Corona-Virus wird eine Verschwörung vermutet, die eine Zwangsimpfung legitimieren solle. Bei der Kundgebung der Gelbwesten am vergangenen Samstag wird dahinter eine geheime Verbindung zwischen Jens Spahn und Bill Gates gesehen. „Es gibt wie so oft keine wirklichen Belege für diese Erzählung. Die Idee, dass es verschworene Eliten gäbe, die die angeblich gute Bevölkerung anlügen, lenken und Schaden bringen würde, gehört zu lang bekannten, antisemitischen Denkmustern“, erläutert Schmidt.
Kim Schmidt weiter: „Organisatorisch ist die Vorherrschaft auf den Protesten noch umkämpft. In Städten wie Magdeburg versucht, die AfD den Unmut für sich zu vereinnahmen – mit der Umgarnung des eben erwähnten Spektrums hat sie ohnehin Erfahrung. In Berlin hingegen waren es eher linksliberale Verschwörungstheoretiker*innen, die den Anstoß gaben. Zunehmend geriert sich außerdem die lose Gruppierung ‚Widerstand 2020‘ als Sprachrohr der Proteste“.
Die Gruppierung versteht sich als Partei, verfügt aber bislang über kaum Strukturen oder ein notwendiges Programm. Dennoch stellen sich auch die Proteste in Dortmund unter den Namen der Partei. Widerstand 2020 propagiert einen Kurs, der mit jenem der Piraten-Partei vergleichbar wäre: Inhalte würden vollständig von allen Mitgliedern bestimmt, vollständige Transparenz wird versprochen. Gleichzeitig werden populistische Erzählungen bedient, wie sie auch die AfD nutzt. Man versteht sich als Bewegungspartei und macht das an den hohen „Mitgliedszahlen“ fest, die allerdings wenig aussagekräftig und möglicherweise sogar manipuliert sind[2]. Für viele Verschwörungsgläubige und enttäuschte AfD-Fans wurde die „Partei“ dennoch zur neuen Hoffnungsträgerin im herbeiphantasierten Kampf gegen die angeblichen „finsteren Mächte im Hintergrund“.
Kim Schmidt schließt: „Die weiteren Entwicklungen werden Aufschluss darüber geben, ob die Proteste und ihr hiesiges Sprachrohr weiter in das rechte Spektrum abrutschen. Dortmunder Neonazis rufen jedenfalls bereits zur Unterstützung der Corona-Demos auf. Auch jetzt schon können Empfehlungen für den Umgang mit den Protesten aus dem Beispiel von Interventionen gegen die ähnlich tickende AfD gezogen werden: Keine Bühne bieten, Behauptungen nicht unwidersprochen stehen lassen, das Gespräch mit ‚Mitläufer*innen‘, die noch halbwegs erreichbar sind, eher auf der persönlichen Ebene suchen und so weiter. Die mehr als offene Flanke zu rechten, rassistischen und antisemitischen Positionen und das Gewaltpotential apokalyptischer Verschwörungstheorien sind Grund genug, diese diffuse Melange ernstzunehmen“.
[1] https://www.radio912.de/artikel/dortmunder-polizei-loest-unangemeldete-demo-auf-581548.html
[2] https://ww.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_87823114/-widerstand-2020-so-viel-schwindel-steckt-in-der-corona-partei-.html