Deutschland stilisiert sich gerne als „Aufarbeitungsweltmeister“ der nationalsozialistischen Vergangenheit, gerade im Vergleich zu anderen europäischen Ländern mit faschistischer Vergangenheit. Dieser Text soll die misslungene Aufarbeitung von vor allem der Generation der Täter*innen darlegen und aufzeigen, welche Folgen diese für die heutige Aufarbeitung der Verbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg hat.
Die Bundesrepublik ist ihrer Aufgabe der Aufarbeitung des Nationalsozialismus‘ nicht in ausreichendem Maße gerecht geworden. Schon früh begann in der Bundesrepublik ein kollektives Vergrauen der Erinnerungen an die Verbrechen, die die Nazis an Juden*Jüdinnen, Sinti*zze, Rom*nja, Kommunist*innen sowie Homosexuellen und vielen weiteren Menschen begangen hatten. Man wollte sich nicht mehr an die schrecklichen Details der Shoa und der Porajmos und des Krieges erinnern. Zu unangenehm war es für Viele, sich Schuld und Scham einzugestehen, als ihr Gewissen – nach dem Scheitern des nationalsozialistischen „Ideals“ – wiederkehrte, welches sie jahrelang nur der Führung des nationalsozialistischen Deutschlands verpflichtet hatte. Die große Verdrängung der nationalsozialistischen Verbrechen setzte ein und hält bis heute an. Ein Beispiel für die Vergrauung der Erinnerung stellt die Verklärung des verurteilten Hauptkriegsverbrechers, Naziarchitekten und Rüstungsministers Albert Speer dar. Dieser war u.a. verantwortlich für die Deportation von tausenden Menschen, konnte sich zunächst allerdings als Opfer von Verführungen Adolf Hitlers darstellen.
Natürlich ist die Angst vor der Scham nicht der einzige Grund für eine Verdrängung der begangenen Verbrechen. Nach 1945 war das positiv erscheinende Bild eines „mächtigen deutschen Vaterlandes“ zerbrochen, die positive Identifikation mit Deutschland un- bzw. nur schwer möglich. Die narzisstische Kränkung war zu groß, als das positive Bild des Nationalsozialismus‘ in die Brüche ging. So kam es bei einigen Menschen zu einer Verleugnung der Verbrechen. Diese Verleugnung der Verbrechen des Nationalsozialismus‘ macht die Identifikation mit Deutschland für viele nationalistische Deutsche erst wieder möglich. Für einige andere war diese Verleugnung allerdings dafür auch nicht nötig, und sie identifizierten sich ungebrochen weiter mit Deutschland.
Ein krasses Beispiel für diese Verleugnung stellt die verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck dar, deren Nationalismus durch die Leugnung des Holocausts und ihrem daraus resultierenden offenen Antisemitismus nicht „gestört“ wird. Weniger ausgeprägt sind die Verleugnungen, die bspw. bei PEGIDA und anderen rechten Gruppen stattfinden: Zwar seien Verbrechen begangen worden, nur angeblich nicht in dem Ausmaß und die Verbrechen werden da gerne mit denen anderer Länder zu relativieren versucht. Außerdem sei ein Zeitpunkt gekommen, einen Schlussstrich unter die Geschichte zu ziehen.
Neben der Verdrängung bzw. Verleugnung der nationalsozialistischen Verbrechen, die eine vernünftige Aufarbeitung der Vergangenheit verhindert, darf die autoritäre Staatshörigkeit (vieler Deutscher) nicht vergessen werden. Diese verhindert eine kritische Auseinandersetzung mit den Inhalten des Nationalsozialismus‘ bis heute. So wurden einige ideologische Elemente, welche in der nationalsozialistischen Weltsicht zu elementaren Bestandteilen erhoben wurden, in der Bundesrepublik in anderer Form weitergeführt. Als Beispiel lässt sich unter anderem der Antikommunismus anführen: Durch den Nationalsozialismus weit verbreitet und in der Bundesrepublik – sicher auch durch die damals aktuellen Konflikte des Kalten Krieges – wenig hinterfragt, Durch die Fortsetzung der Karrieren in der BRD des Großteils derer, die in Behörden, Gerichten, Polizei und Geheimdienst mit der Verfolgung Linker beschäftigt waren, auch institutionell fortgeschrieben.
Gelang eine Verdrängung der Verbrechen ebensowenig wie die Freisprechung von der eigenen Mitschuld an diesen, neigten Menschen dazu, sich als Opfern zu stilisieren. So blieb das eigene Leid durch die – im Übrigen durch die Opfer des Nationalsozialismus‘ herbeigesehnten – Bombardierungen sehr viel deutlicher im Kopf. Oft stellten sich diese Leute auch als Opfer eines sie verführenden nationalsozialistischen Zirkels mächtiger Einzelpersonen dar. Ein Höhepunkt dieser Opferstilisierung stellt das Gedenken an die Bombardierung von Dresden dar, welches jedes Jahr am 13. Februar zelebriert wird.
Betrachtet man die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen, kann man lediglich positiv anmerken, dass durch den Druck und das Interesse von Überlebenden und des Auslands und die Bestrebungen der Alliierten zumindest überhaupt Menschen dafür zur Rechenschaft gezogen worden sind – während der deutsche Staat immer wieder versucht hat, seine Täter*innen zu schützen. Dass der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher von vielen als ,,Siegerjustiz“ verschrien wurde, zeigt, wie stark die Identifikation mit NS-Deutschland weiterhin war. Dennoch nahm man die Verurteilung der Hauptkriegsverbrecher zum Anlass, die Schuld von sich selbst wegzuschieben und sich als verurteilt und damit gesühnt zu sehen.
Wie sieht es heute aus?
Durch die Verdrängung der Taten in der Generation der Täter*innen kam es zu einem Defizit in der Bildung der darauffolgenden Generation. Obwohl die Bildung über den Nationalsozialismus bereits seit 1949 auf dem Lehrplan steht, kam die Thematik viele Jahre lang kaum im Unterricht vieler Schulen vor. In Anbetracht der eher oberflächlichen Beschäftigung der 68er-Bewegung mit dem Thema und dem allgemeinen Bildungsdefizit wundert es nicht, dass laut einer aktuellen Umfrage der „Zeit“ 53 % der Befragten der Aussage „Die Masse der Deutschen hatte keine Schuld, es waren nur einige Verbrecher, die den Krieg angezettelt und die Juden umgebracht haben.“ zustimmen. Eine fehlende selbstkritische Aufarbeitung zeigt sich auch darin, dass 25 % aller Deutschen glaubt, ihre Vorfahren seien Teil des Widerstands gewesen, obwohl die tatsächliche Zahl bei 0,1 % liegt. Auch unter jungen Menschen, die die Verbrechen des Nationalsozialismus‘ eigentlich im Unterricht behandelt haben, gibt es ein erschreckendes Defizit. Laut einer Studie der „CNN“ aus dem Jahr 2018 antworten 40% der Menschen in Deutschland zwischen 18 und 34 auf die Frage, wie viel sie über die Shoa wüssten, mit „wenig“ bis „gar nichts“.
Solange die Verdrängung und Verklärung des Nationalsozialismus‘ nicht konsequent angegangen wird, bleibt die Aufarbeitung der Verbrechen höchstens eine symbolische. Solange nicht mit permanenter Aufklärungs- und Bildungsarbeit gegen die Verklärung angerannt wird, reicht keine jährliche Gedenkveranstaltung der Bundesregierung. Es braucht eine klare Benennung der Täter*innen, nämlich die nationalsozialistische deutsche Bevölkerung. Es braucht eine konsequente Arbeit gegen völkisch-nationale, antisemitische und alle weiteren Elemente der nationalsozialistischen Ideologie, die bis heute in der Gesellschaft fortdauern. Wir erinnern an diesem Tag nicht nur an die Befreiung. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass gerade heute viel Arbeit vor uns liegt, wiedererstarkende rechte Gedanken zu bekämpfen. Nur so kann die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ernst genommen werden!