Redebeitrag: Ein kleiner Ausflug in die Geschichte des Dortmunder Häuserkampfes der 1980er Jahre

Im Folgenden dokumentieren wir einen Redebeitrag, der am 22.08.21 bei der Demo in Dorstfeld von einer:m ehemaligen Hausbesetzer:in gehalten wurde.

Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es auch in Dortmund, wie in den meisten anderen großen Städten Deutschlands, viele besetzte Häuser; viele dieser besetzten Häuser befanden sich hier in Dorstfeld. Die TAZ veröffentlichte damals regelmäßig eine Liste der Städte mit den meisten besetzten Häusern, Dortmund befand sich meistens unter den Top 5. Die Stadt hatte in Dorstfeld viele Privathäuser aufgekauft, die sie leer stehen ließ, weil sie abgerissen werden sollten, um für teure Neubauten Platz zu machen.

Der Häuserkampf der 80er in Dortmund begann am 24.April 1981 abends gegen 22 Uhr als die, seit 1979 leer stehende,  Helmutstr. 35 von ca. 40 Häuserkämpfer*innen instandbesetzt wurde. Damals gab es noch keine sozialen Medien wie Twitter, Facebook und Co., sondern es wurde über Telefonketten informiert, so dass innerhalb kurzer Zeit viele Unterstützer*innen zum Haus kamen und sich die ganze Nacht und auch am nächsten Tag bis zu 800 Menschen im und vor dem Haus aufhielten. Nachbar*innen brachten Kaffee, Tee und Brötchen vorbei, die Instandbesetzer*innen begannen mit der Renovierung, um für sich Wohnungen und Nachbarschaftsräume zu schaffen und luden zu einem Nachbarschaftsfest ein, um Kontakte zu den Unterdorstfelder Anwohner*innen herzustellen.

Danach ging es Schlag auf Schlag, am 1. Mai wurde die Wörthstr. 22 und am 9. Mai der Dorstfelder Hellweg 15 instandbesetzt. Kurz nach der Besetzung des Dorstfelder Hellwegs wurde im Hof das Cafe Randale eröffnet, wo unter anderen Christian Tasche, der später als Staatsanwalt im Tatort bekannt wurde, als Feuerschlucker auftrat. Es folgten noch einige Häuser in Dorstfeld, aber auch in Hörde in der Seydlitzstr., in der Nordstadt in der Kleinen Kielstr. und in der Gronaustr. und im Alten Mühlenweg wurden Häuser instandbesetzt.

Die Stadt setzte den Besetzer*innen der Helmutstr. ein Ultimatum von 2 Tagen, welches sie auf eine Woche verlängerte und lehnte Gespräche mit den Besetzer*innen ab. Die Besetzer*innen starteten eine Unterschriftenaktion, bei der innerhalb weniger Tage mehr als 20.000 Unterschriften zusammen kamen, aber die Ratsfraktionen lehnten eine Vermietung an die Besetzer*innen weiterhin ab. Zu einer Podiumsdiskussion über die Sanierungs- und Wohnungspolitik der Stadt am 29. Mai in der FH, die von über 200 Menschen besucht wurde, erschienen alle eingeladenen Vertreter der Stadt nicht.

Am Morgen des 3. Juni rückte die Polizei an und räumte die Häuser in der Helmutstr. und am Dorstfelder Hellweg. Über Telefonketten wurde über die Räumung informiert und innerhalb kurzer Zeit eilten über 200 Unterstützer*innen herbei, setzten sich auf den Dorstfelder Hellweg und blockierten den Verkehr. 32 Menschen wurden an diesem Morgen festgenommen, ED behandelt und pünktlich zur Demo am Nachmittag wieder freigelassen, denn immer wenn ein Haus geräumt wurde, startete am gleichen Tag um 17 Uhr eine Demo an der Reinoldikirche. Am Abend demonstrierten über 1000 Menschen in der Dortmunder City, dabei gab es nochmal 21 Festnahmen, als ein Teil der Demonstrant*innen in das Stadttheater eindrang und versuchte dieses zu besetzen.

Das letzte besetzte Haus in Dortmund war 1982 das Haus im Alten Mühlenweg 6, welches am gleichen Tag wie das Kulturzentrum Heidehof, ein ehemaliges Schulungsgebäude der IG Metall, welches 8 Monate lang besetzt war, geräumt wurde.
Dieses besetzte Haus im Alten Mühlenweg hatten im September 1982, am Tag der 1100-Jahr-Feier der Stadt Dortmund, Polizeibeamte in Zivil nach Feierabend gestürmt und die Besetzer*innen zusammengeschlagen. Dabei wurden mehrere Personen leicht und ein Kinderarzt, der zu Besuch im Haus war, schwer verletzt. Zu dem Überfallkommando gehörten neben mindestens 6 unbekannten Komplizen der Schutzbereichsleiter für Dortmund-Mitte und SPD-Ratsherr in Schwerte Polizeioberrat Dietmar Weist und Hauptkommissar Michael Murawski, Vizeleiter der Einsatzhundertschaft. Beide wurden wegen Nötigung und gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von je 4 Monaten mit Bewährung und zu Geldbußen von 1500 und 2000 Mark verurteilt. Aufgrund dieser geringen Strafen blieben sie von der Entlassung aus dem Polizeidienst verschont; Michael Murawski  wurde Chef des Einsatztrupps Nord und Dietmar Weist wurde in den Innendienst versetzt.

Diese Vorfälle am Alten Mühlenweg waren Auslöser für die Gründung der Bürgerinitiative „Bürger beobachten die Polizei“, in der neben Hochschullehrern auch ein Rechtsanwalt mitarbeitete. Die Bürgerinitiative rüstete sich mit Kameras aus und beobachtete bei Großeinsätzen die Polizei.

Auch damals, Anfang der 80er, sorgten SS-Siggi und seine Gurkentruppe „Borussenfront“ mit neonazistischen und ausländerfeindlichen Parolen, Nazifahnen, Sieg-Heil-Rufen, dem Zeigen des Hitlergrußes, dem Singen von Naziliedern und der ersten Strophe des Deutschlandliedes für Unruhe in Dortmund. Damals wohnte er noch im Dortmunder Norden, das Vereinslokal der „Borussenfront“ war das „Grobschmid“ in der Stahlwerkstraße. Nach Spieltagen wurde schon mal eine Schlägerei in der benachbarten Imbissbude, deren Besitzer Türken waren, angefangen oder Besucher eines deutsch-türkischen Kommunikationszentrums überfallen. Später zogen dann viele Neonazis, auch aus anderen Städten, nach Dorstfeld und versuchten Dorstfeld zu ihrem Kiez zu machen. Da ihnen dies aber nie gelungen ist, allenfalls gab es einzelne Nazihäuser, aber nie einen Nazikiez, verabschiedeten sich  im letzten Jahr einige führende Nazikader  von der Mär Nazikiez Dorstfeld und zogen frustriert ins sogenannte „Mitteldeutschland“. Zitat Michael Brück zu seinem ehemaligen Wohnort Dorstfeld: „Diese Regionen sind im Endeffekt verloren, und da braucht man keine Politik für diese Menschen zu machen, weil die nicht zu erreichen sind. Und das sehe ich halt zum Beispiel hier in Sachsen völlig anders.«

Also bleibt festzuhalten Dorstfeld war nie, ist nicht und wird auch nie Nazikiez sein!

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