Corona, Verschwörungsmythen & Antisemitismus

Banner: Gegen jeden Antisemitismus!

Foto: David Peters

Warum Verschwörungsmythen das Verbindungselement der selbsternannten “Corona-Rebellen” bilden, was das wieder mit Antisemitismus zu tun hat und wie unsere Antwort als Linke aussehen muss.

Unser Redebeitrag beim Protest gegen die Kundgebung der Bonner Ortsgruppe „Querdenken228“ gegen die angebliche Abschaffung der Grundrechte durch die Infektionsschutzmaßnahmen am 10. Oktober 2020 auf dem Bonner Hofgarten.

Bloß ein Déjà-vu? Wie ihr vielleicht bemerken werdet, ähnelt dieser Beitrag in Teilen unserer Rede bei der Kundgebung des Bündnisses „Grenzenlos Solidarisch“. Das liegt einerseits an den thematischen Schnittmengen der Beiträge und andererseits daran, dass wir den Beitrag für ganz gut gelungen halten. Dennoch enthält dieser Beitrag auch einige neue Punkte. Lesen lohnt sich also trotzdem!

Ein Popsänger, ein Kochbuchautor und ein ehemaliger Radiomoderator gehen in eine Bar…

Am Ende des Abends bildet sich der Popsänger Geschichten über Geheimbünde ein, die Kinderblut trinken und heult dazu in die Kamera. Der Kochbuchautor hält sich für einen Samurai, will in den bewaffneten Untergrundkampf ziehen, wird in Berlin allerdings von einem Platzverweis der Polizei gestoppt. Der ehemalige Radiomoderator macht den Mundschutz als „Maulsperre“ oder gar „neues Hakenkreuz“ aus und ruft dazu auf, keinen zu tragen – trägt dann aber selbst einen Mundschutz und versteckt sich unter einer Decke, damit das niemand mitkriegt.

Klingt alles sehr schrullig und vielleicht ein bisschen komisch. Das Problem: alle drei Personen erreichen ein großes Publikum, dass auf die Geschichten, die die drei erzählen, begeistert anspringt. Diese Geschichten nennen wir Verschwörungsmythen und sie sind ein Grund, warum wir heute hier stehen. Sie sind leider nicht ganz so neu, wie es in unserer kleinen Geschichte wirkt.

Die Coronakrise trifft viele Menschen hart – insbesondere diejenigen, die ohnehin im täglichen Hauen und Stechen nicht besonders gut da stehen – Obdachlose, Geflüchtete, Arme, Kranke, Kids aus zerrütteten Familien, Frauen, prekär Beschäftigte und so weiter. Die Regierungen reagieren auf die neue Situation unterschiedlich. Manche schneller und konsequenter, andere lange gar nicht. Manche Maßnahme wird schlecht erklärt, manche erst aufgeweicht, dann zurückgenommen. Manche werden erst als sinnlos eingeschätzt, dann aber doch eingeführt. Bei vielen weckt das Zweifel und schürt weitere Unsicherheiten. Und das in einer Zeit, in der sich ohnehin schon viele Sorgen um das Klima, ihre Arbeitsplätze und die Zukunft machen. Die so logische wie naheliegende Erklärung: Auch Politiker*innen sind mit der neuen Situation überfordert, auch beratende Wissenschaftler*innen empfehlen Maßnahmen, von denen sie später sagen müssen, dass sie nicht so sinnvoll waren, wie gedacht. So ist das nunmal oft in Krisen.

Und in Krisen ist es umso mehr Aufgabe einer kritischen Zivilgesellschaft und erst recht einer Linken, das Handeln von Regierungen, Behörden und anderen zu prüfen, bei Bedarf zu kritisieren und im Zweifel sogar dagegen auf die Straße zu gehen. Und es gilt, die Gründe für fehlerhafte Maßnahmen zu benennen: Manchmal mag das simples Es-nicht-besser-wissen sein, aber manchmal eben auch autoritäre Ideologie oder die Orientierung am kapitalistischen Normalvollzug, der im Zweifel eben auch trotz Infektionsgefahr verlangt, dass im Großraumbüro weiter gearbeitet wird. Corona hin oder her.

Mit dieser Kritik haben die selbsternannten „Corona-Rebellen“ nichts gemein. Das für sich gepachtete „kritische Hinterfragen“ ist zwar ein schöner Baustein in der eigenen Identität als „Freidenker*in“, verkommt aber zur hohlen Phrase. Denn während Recherchen von Journalist*innen als „Lügenpresse“ abgetan werden, wird der YouTube-Output eines politischen Aktivisten von zweifelhaftem Ruf wie Ken Jebsen nicht nur vorbehaltlos geglaubt, sondern in den quasi-sakralen Rang der wahren Wahrheit erhoben. Hinterfragen? Fehlanzeige! Warum sollte ein Ken Jebsen denn Falschmeldungen verbreiten – also abgesehen von u.a. mangelnder journalistischer Sorgfalt, finanziellem Interesse und medialer Selbstdarstellung?

Die aktuellen Corona-Demos vereinen dabei ein breites Spektrum von linksliberalen Esoterikhippies über Querfrontaktivist*innen und antisemitischen Hetzer*innen bis hin zu Reichsbürger*innen, AfD und organisierten Neonazis. Dies ließ sich schon zu Beginn der Proteste unter anderem in Dortmund beobachten, wo sich die neonazistischen Gewalttäter*innen der Partei Die Rechte mit dem Grundgesetz winkend an die Spitze einer Protestwelle zu setzen versuchten. Spätestens allerdings seit dem versuchten Reichtstagssturm in Berlin ist diese breite Allianz völlig offensichtlich. All diese – eigentlich so verschiedenen – Kräfte in dieser unheilvollen Allianz hängen verschwörungsideologischen Erzählungen an, welche behaupten, hinter komplexen sozialen und geschichtlichen Prozessen einzelne diabolische verantwortliche Personen ausmachen zu können. Dass diese Dratzieher*innen dabei nicht immer eindeutig als jüdisch bezeichnet werden, täuscht nicht über den durch und durch antisemitischen Charakter dieser Erzählungen hinweg. Vielmehr ist diese verschwörungsideologische Vorstellung der die-Welt-kontrollierenden-Juden*Jüdinnen Dreh- und Angelpunkt des modernen Antisemitismus. Sie ist außerdem Grundriss für den Großteil aller Verschwörungsideologien und zentral für die extreme und insbesondere die neonazistische Rechte.

Solche antisemitischen Denkmuster gehören allerdings seit Jahrhunderten zur menschlichen Historie – und nicht nur zu extrem rechter Ideologie – und dienen regelmäßig als Legitimierungsfunktion für Gewalt gegen und Morde an Menschen.

Verschwörungsmythen erfüllen aber nicht nur eine Scharnierfunktion zwischen Neonazis, Esoterikfans, religiösen Fundamentalist*innen, der AfD und viel zu vielen Menschen in jeder Sphäre der Gesellschaft, sondern immunisieren sich insbesondere gegen die Kritik von außen. Jede eingehende Information wird im Sinne der bereits ausbuchstabierten Ideologie, in der die Schuldigen von Beginn an feststehen, interpretiert. Der Glaube an Verschwörungstheorien hat – ähnlich wie der Antisemitismus – das Potential, zum Wahn zu werden und Individuen von der Realtität abzuschotten. Im schlimmsten Fall gelangen ihre Anhänger*innen zu der Überzeugung, nur noch Gewalt bis zur Eliminierung der angeblichen Verschwörer*innen oder ihrer Handlanger*innen sei ein erfolgsversprechendes Mittel.

Verschwörungsmythen sind in unserer heutigen, krisenhaften Gesellschaft virulent. Sie sind der Motor hinter dem Erfolg der AfD, sie sind Bestandteil extrem rechter Ideologie und sie sind Motor und verbindendes Element der aktuellen Proteste.

Wir stehen hier also heute, um auf die Gefährlichkeit dieser Verschwörungsmythen und der sich bietenden offenen Flanke zu rechten, rassistischen und antisemitischen Positionen und Akteur*innen hinzuweisen. Wir sind allerdings auch hier, um aufzuzeigen, dass Verschwörungsmythen nicht das Potential haben, reale Missstände zu beenden. Denn zwischen all den verlorenen Gestalten, tummeln sich durchaus auch ein paar Leute, die in ihrer Unsicherheit einfach bei einer Deutung der aktuellen Krise hängengeblieben sind, die verspricht, die wahren Schuldigen zu kennen und dass alles besser wird, wenn diesen das Handwerk gelegt würde. Diese Leute abholen zu wollen, ist nicht verkehrt, sondern unglaublich wichtig – aber auch nicht leicht. Denn Verschwörungen und böse Absichten zu sehen, wo keine sind, ist weißgott leichter, als sich mit drängenden Problemen, wie einem unterbezahlten Gesundheitssystem oder steigenden Mieten und der dahinterstehenden kapitalistischen Logik zu befassen.

Für uns Linke, als Antifaschist*innen, gilt es also, Verschwörungsmythen als Scharnier, als Radikalisierungsmotor in den Blick zu nehmen und gleichzeitig aufzuzeigen, dass mit Verschwörungstheorien keine Gesellschaftskritik zu machen ist – und emanzipatorisches Handeln erst recht nicht.

Es gilt, ihnen wie auch dem Antisemitismus nicht nur mit Sonntagsreden zu begegnen, sondern ihnen dort entgegenzutreten, wo sie sich artikulieren und ihre Handlungsräume dichtzumachen. Mit Kritik und dem Angebot einer Perspektive von Gesellschaft, die für alle attraktiv ist.

Wenn es verhindert, dass Passant*innen den Haufen für bloße Grundrechtsverteidiger*innen halten: sehr gut!
Wenn es einzelne Aluhüte zum Nachdenken bringt: noch besser!

So oder so:
Gegen Verschwörungsdenken und jeden Antisemitismus!
Für die befreite Gesellschaft für Alle!

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