Dortmund, die Nazi-Hochburg?

Am Samstag (17.11.2020) standen wir in Remagen, um gegen den Naziaufmarsch in Erinnerung an die angeblich ermordeten Insassen der Rheinwiesenlager zu demonstrieren. Bei dem Aufmarsch spielen auch Dortmunder Neonazis eine Rolle. Seit dem ersten Aufmarsch in Remagen beteiligen sie sich, halten Reden und unterstützen bei der Organisation. Seit der Auflösung des Aktionsbüros Mittelrhein übernehmen Dortmunder Neonazis zudem die zentrale Organisation und stellen beispielsweise seit 2017 den Lautsprecherwagen zur Verfügung. Auch abseits davon ist zu beobachten, dass die Dortmunder Kader in Remagen von Jahr zu Jahr eine immer zentralere Rolle einnehmen. Aus diesem Grund haben wir vor Ort eine Rede zum Stand der Naziszene in Dortmund gehalten:

Die Dortmunder Neonazis, die sich seit dem Verbot des Nationalen Widerstands Dortmund im Sommer 2012 in der Partei „Die Rechte“ organisieren, umweht ein Mythos. Die Szene in Dortmund sei groß, sei gewalttätig und besonders gefährlich. Nun wollen wir das Fascho-Problem in unserer Stadt nicht klein reden, aber für eine realistischere Einschätzung sorgen.

Ja, mit fünf durch Nazis seit 2000 ermordeten Menschen hat Dortmund einen traurigen Spitzenplatz in NRW, und ja, die NS-Szene baut auf Kontinuitäten von über 35 Jahren auf. Und es stimmt auch, dass die Nazis bis zum Verbot des NWDO immer wieder durch gewalttätige Übergriffe aufgefallen sind, und dass Menschen, die in ihr Feindbild passen, es in dieser Zeit nicht leicht hatten in Dortmund. Und es stimmt auch, dass 2016, nachdem es einige Jahre vergleichsweise ruhig um neonazistische Gewalt geworden war, eine Serie von Gewalttaten in einen Messerangriff auf einen Antifaschisten mündete.

Mittlerweile sieht es in Dortmund aber anders aus. Die Nazis sind Medienprofis und wissen sich zu inszenieren. Ein Großteil ihrer Aktionen sind mittlerweile fast ausschließlich auf eine möglichst große Resonanz in der Presse ausgerichtet. Außerdem wurden ihre Aktionen in den letzten Jahren immer legalistischer, da Berichte über Gewalttaten nicht zur gewünschten Außenwirkung einer demokratisch legitimierten Partei passen. Trotzdem gibt es weiterhin gewalttätige Angriffe und für all jene, die nicht in das Bild der Neonazis passen, bedeuten diese Menschen eine Gefahr.

Vor allem aber geht der Plan der Nazis auf, mit kleinen Aktionen große Reaktionen und damit Reichweite zu erzielen. Obwohl wir es grundsätzlich begrüßen, dass offizielle Stellen nicht mehr bestreiten, dass es in Dortmund ein ernstzunehmendes Nazi-Problem gibt, ist die Empörung städtischer Stellen bis heute meistens lediglich eine oberflächliche. So täuschen all die Veranstaltungen „gegen Rassismus“, „für Courage“ oder „Weltoffenheit“ nicht darüber hinweg, dass eine Kritik an der Ideologie der Nazis kaum stattfindet. Und auch, wenn es darum geht, sich Aufmärschen in den Weg zu stellen, ist von der Stadt, der seit Jahrzehnten regierenden SPD oder den Gewerkschaften in Dortmund nicht viel zu erwarten.

Auch die Berichterstattung über Dortmunder Nazis kann mensch kritisieren. Viele Medien tappen in eine Falle der Nazis. Sie wollen, dass über ihre Aktionen berichtet wird, denn nur so können sie das über sie vermittelte Bild aufrecht erhalten. Wenn Fernseh-Dokus lange Interviews mit Dortmunder Kadern senden, freuen sich die Nazis. Sie werden medial überhöht, als mächtig und Angst einflößend dargestellt. Das nützt ihnen, um in der bundesweiten Nazi-Szene weiter an Prestige zu gewinnen und um Nachwuchs zu werben. Wir freuen uns über eine kritische Berichterstattung über die Dortmunder Naziszene, fordern aber, dass mehr mit Antifaschist*innen und Opfern neonazistischer Gewalt gesprochen wird, als mit den Nazis selbst, die dadurch eine Plattform erhalten, auf der sie ihre Ideologie vebreiten können.

Dass die Dortmunder Szene dieses bundesweite Ansehen weiterhin genießt, verdeutlichen nicht nur die jährlichen Aufmärsche mit bundesweiter oder sogar internationaler Beteiligung, sondern unter anderem auch die Eröffnung des Thor-Steiner-Ladens im Herbst letzten Jahres in der Innenstadt, womit Dortmund den einzigen Laden dieses rechten Modelabels in Westdeutschland beheimatet. Zwar musste dieser nach wochenlagen Protesten und militanten Aktionen wieder schließen, doch er konnte im Sommer diesen Jahres an anderer Stelle in der Innenstadt wieder neu eröffnen.

Aber trotz des hohen Ansehens, welches die Dortmunder*innen noch immer in der bundesweiten Naziszene genießen, läuft es für sie aktuell nicht besonders gut:

  • Eines ihrer bundesweiten Prestigeprojekte zum Beispiel, die rechte Kampfsportveranstaltung „Kampf der Nibelungen“, an welcher die Dortmunder Nazis Alexander Deptolla und Marina Liszczewski federführend beteiligt sind, musste herbe Tiefschläge kassieren. Nachdem 2018 in Ostritz noch bis zu 800 militante Neonazis teilgenommen hatten, wurde die Veranstaltung letztes Jahr komplett verboten. Dieses Jahr sollten alle bisherigen Fightnights der Reihe übertroffen werden, wegen der Pandemie allerdings nur gestresst werden. Das sollte allerdings nicht sein, die erste Aufzeichnung wurde von der Polizei unterbunden und der Boxring beschlagnahmt. Am Ende gab es dann nur einen schlechten Livestream mit alten Aufzeichnungen und nur wenigen neuen Kämpfen einer zweiten klandestineren Aufzeichnung, sowie die Ansage Deptollas, bis zur Klärung der rechtlichen Situation keine weiteren Veranstaltungen mehr durchzuführen. Allerdings läuft der Ausbau der Modemarke des KDN weiter und spült weiterhin nötiges Geld in die Kassen der Neonazis.
  • Dass dieses Geld bitter notwendig ist, liegt auch am schlechten Abschneiden der Neonazis bei der letzten Kommunalwahl im September. Durch die schlechten Wahlergebnisse kamen sie insgesamt nur noch auf ein Ratsmandat, verloren dadurch ihre Ratsfraktion und somit etliche zehntausende Euro und auch der anvisierte Einzug ins Ruhrparlament scheiterte. Auf parlamentarischer Ebene haben die Neonazis der Konkurrenz von Seiten der AfD insgesamt kaum noch etwas entgegenzusetzen.
  • Und auch die inhaltliche Arbeit der Neonazis scheint zu stagnieren. Nachdem ihre Selbstinszenierung in den letzten Jahren insbesondere durch regelmäßige Artikel über das Nachrichtenportal „Dortmundecho“ vollzogen wurde, haben sie vor kurzem das Ende des Portals bekanntgegeben. Dem vorrausgegangen war ein starker Rückgang von Menge und Qualität der veröffentlichten Artikel, die eher den Anschein von Strafarbeiten hatten.
  • Neben dem Dortmundecho hat ebenfalls die „Aktionsgruppe Dortmund West“ dieses Jahr ihre Auflösung bekanntgegeben. Diese Gruppe vor allem jüngerer Nazis war bis Mai eng an die Partei „Die Rechte“ angebungen und wollte mit ihrem aktionistischen Verhalten besonders in die Fußstapfen des verbotenen NWDO treten.
  • Als weiterer Rückschlag mag das diesjährige Ausbleiben eines bundesweiten Großaufmarsches wirken, welcher Ende letzten Jahres bereits angekündigt worden war. Ob er allerdings ohne die Corona-Pandemie ebenfalls ausgefallen wäre, ist fraglich.

Die Nazis scheinen dennoch gerade insgesamt in der Defensive. Das heißt allerdings nicht, dass sie keine Gefahr mehr darstellen oder sich nichts Neues ausdenken. Seit einigen Monaten gibt es öffentlich zum Beispiel erste Anzeichen einer neugegründeten Nazigruppierung namens „Tremonia Kollektiv“. Viel ist darüber öffentlich noch nicht bekannt. Allerdings erweckt nicht nur die Tatsache, dass der bis zur Auflösung zur AG West gehörende André Fuhr beim diesjährigen KDN im T-Shirt vom „Tremonia Kollektiv“ antrat, den Eindruck, dass die Dortmunder Neonazis damit einen neuen, etwas hipper und ansprechender gestalteten aktionistischen Ansatz verfolgen. Nur reine Parteipolitik scheint also an Relevanz zu verlieren. Doch genau diese sich abzeichnenden neuen Ansätze und unsere lange Erfahrung zeigen, dass der Kampf gegen die Dortmunder Neonazis noch lange nicht vorbei ist. Eine über 35 Jahre verankerte rechte Szene verschwindet nicht über Nacht, weil die Repression gerade Stärke zeigen kann und Rückschläge zu verzeichnen sind.

Wir wollen und müssen dafür sorgen, dass die Dortmunder Nazis aus ihrer Deckung nicht mehr herauskommen. Das nächste rechte Großevent wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nächstes Jahr stattfinden. Die Erfahrungen aus den letzten Jahren zeigen, dass mit mehreren hundert Nazis aus dem ganzen Bundesgebiet gerechnet werden muss. Für die Dortmunder Neonazis eine wilkommene Gelegenheit, sich selbst und der bundesweiten Naziszene zu beweisen, dass sie es noch können. Und auch die bestehenden und neuen Nazistruktuen werden ohne unser Entgegenwirken nicht kleinbeigeben.

Doch dafür brauchen wir euch! Denn auch wenn wir wissen, dass es weitaus schönere Anlässe gibt, nach Dortmund zu kommen, zählen wir weiterhin auf eure Unterstützung! Lasst uns gemeinsam deutsche Zukunftsträume und den Nazi-Mythos Dortmund zerstören!

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